Wider die antisemitische Querfront! – Wider die reaktionäre Kapitalismuskritik! – Für eine freie Gesellschaft.

Wider die antisemitische Querfront! – Wider die reaktionäre Kapitalismuskritik! – Für eine freie Gesellschaft.

GenossInnen, FreundInnen, liebe ZuhörerInnen,

ein Raunen geht um in Europa, geht um in der Welt, verbreitet sich um den ganzen Globus. Es flüstert, es schallt, es schreit allerorten: „Israel, der Weltagressor, Israel der Weltenfeind!“ Man horcht also auf,beunruhigt, es müsse wohl was Großes sein. Ein neuerliches Massaker in Syrien, wieder Völkermord in Ruanda, hat Rohani nun seine Bombe, Nordkorea gar den USA den Krieg erklärt? „Nein“, kommt’s zurück, „viel schlimmer!“: Israel zerstört die Raketen der Hamas. Man sieht also genauer hin, stellt fest: die Hamas und andere Terroristen haben wieder begonnen, Israel aus dem Gazastreifen zu beschießen, Israel vergilt’s mit Rückschlägen. „Was soll’s“, will man als Israel nicht feind gesonnener Mensch sagen, die Achseln zucken bald, „die Hamas meint alle paar Jahre wieder, Israel herauszufordern durch übermäßigen Beschuss. Israel hat es die letzten 66 Jahre überlebt, sie werden es auch dieses Mal überstehen. Die Lage ist nicht schön für die Israelis und schlimmer für die PalästinenserInnen, welche unter der Hamas gleich doppelt leiden. Aber kann ich’s ändern?“
Warum stehen wir also hier?
Ich wurde im Vorfeld dieser Kundgebung oft angesprochen von Leuten, die meine Befürwortung dieser Veranstaltung und meine Entscheidung, ihr beizuwohnen, kritisierten. Ich nähme doch, so die Kritik, einseitig Stellung, indem ich hier sei. Klären wir also, wogegen und wofür ich hier Stellung beziehe. Ich will fünf Punkte nennen.

1. Einen Kilometer von hier findet eine von der Linksjugend angekündigte Kundgebung „gegen die Bombardierung Gazas“ statt. Weder ist im ganzen Aufruf auch nur ein Wörtchen davon zu lesen, dass die Bombenangriffe mit dem Zweck erfolgen, die in Krankenhäusern und Schulen versteckten Raketenwerfer der Hamas zu zerstören, noch ein Hinweis darauf, dass die Angriffe der israelischen Armee die Antwort auf den vorherigen Beschuss Israels vom Gazastreifen aus sind. Als Aggressor des Konflikts – und da reiht sich die Linksjugend und ihre Partei die LINKE wie sonst nur selten ein in die Mehrheitsmeinung und in den Mainstream der Medien – als Aggressor wird einseitig Israel verantwortlich gemacht.
Gegen diese Einseitigkeit der Stellungnahme wende ich mich hier.

2. Auf eben dieser Kundgebung werden, davon konnten wir uns schon im Vorfeld ein Bild machen, auch haufenweise IslamistInnen, Rechtsextreme und militante AntizionistInnen auftauchen. Sie könnten nichts dafür, so die Linksjugend im Vorfeld, wenn solcherlei AntisemitInnen sich ihre Kundgebung zu eigen machten. Ein Wahres ist da wohl dran: eine Gesichtskontrolle bei einer so großen Veranstaltung ist wohl kaum möglich. Auch wir sind nicht davor gefeit, dass Menschen, deren Hass auf Muslime sie ihren Hass auf JüdInnen vergessen lässt hier auftauchen. Das wäre jetzt übrigens spätestens der Moment für so ChaotInnen à la Politically Incorrect, uns zu verlassen. Nicht hier? Na, ham wir’s doch besser gemacht. Klein, aber fein.
Aber kann die Linksjugend wirklich nichts dafür, dass ihre Kundgebungen AntisemitInnen jeder Couleur als Ort dient, um ihre antisemitische Querfront zu bilden? Die Linke pflegt schon lange – ich beziehe mich hierbei auf ihren Großteil und vor allem auf den, der öffentlich in Erscheinung tritt – eine Kapitalismuskritik, die das Böse im Kapitalismus bei „den Managern“ und im „Finanzkapital“ ausmacht, also Elemente innerhalb des Kapitalismus als für dessen negative Auswirkungen verantwortlich macht und das dann zurückführt auf deren grundsätzlich bösartige Gesinnung. So liegt es denn auch diesem Gedankengang zufolge nahe, statt den Kapitalismus aufzuheben, vielmehr seine schlechten, seine falschen Auswüchse abzuschaffen und mit einem gesundeten, von allen Übeln gereinigten Kapitalismus in eine goldene Zukunft zu fahren.
Dass man bei dieser ideologischen Ausgangslage bei allen Unterschieden, die sonst zwischen ihnen existieren mögen, zu einer gemeinsamen Position kommt auch mit Rechtsextremen und IslamistInnen, und zwar eben in dem Punkt, dass das Übel der Moderne, überhaupt des Kapitalismus das „Finanzkapital“ und seine VertreterInnen sind, überrascht nicht. Und dass man sich demzufolge dann gegen die JüdInnen wendet, ist bloß noch gute Tradition. Nun sprach ich davon, dass es sich um einen Großteil der Linken handele, aber es ist wohl kaum davon zu sprechen, dass sich ein Gros der Linken, und dann auch noch öffentlich, gegen JüdInnen ausspreche. Nein, beileibe nicht. Dafür sind sie, das muss man ihnen zugute halten, zu zivilisiert oder zu klug, um ihre tendenziell reaktionäre Kapitalismuskritik als Antisemitismus aufzudecken. Vielmehr projiziert sich, was dort unterbewusst vor sich geht, im Bewusstsein auf den Staat Israel. So also das eigene Ressentiment in gefällige Bahnen gelenkt, gibt es keine Hemmnis mehr: Alle zuvor unterdrückte Aggression richtet sich gegen den Staat Israel. Und so kämpfen sie denn vereint, IslamistInnen, Rechtsextreme und linke AntizionistInnen, die reaktionäre Kapitalismuskritik mal mehr, mal weniger vermittelt über den Antizionismus, in einer Front gegen den Juden unter den Staaten.
Und auch gegen diese Querfront der AntisemitInnen wende ich mich hier.

3. Die Raketenangriffe auf Israel aus dem Gazastreifen fielen bisher und fallen auch dieses Mal in die Verantwortung der Hamas, die als gewählte Regierung den Gazastreifen kontrolliert. Bei aller Schwäche, die die Hamas auch jüngst aufzeigt, sind ihr als den Verantwortlichen die Raketenangriffe zuzurechnen. Wer auch immer Verständnis aufbringt für die Raketenangriffe, bringt also Verständnis auf für die Hamas. Die Hamas ist eine klerikal-totalitäre Regierung, die Homosexuelle umbringt, Frauen unterdrückt und die Opposition auslöscht, für ihren Machterhalt somit ihre eigene Zivilbevölkerung terrorisiert. Darüber hinaus verfolgt sie erklärtermaßen das Ziel, den Staat Israel zu vernichten und seine Bevölkerung auszulöschen. Dass sich eine Organisation, die sich selbst als links, als progressiv versteht, sich mit solcherlei Gruppen solidarisiert, ist abartig. Ich wende mich hier also gegen den Terror der Hamas gegen ihre eigene Zivilbevölkerung und gegen Israel.

4. Auf den schon stattgefunden habenden Demos in Frankfurt, Dortmund, Bremen und auch hier in Essen kam es immer wieder zu Ausschreitungen. So wurden in Sprechchören Israelis als „Kindermörder“ bezeichnet und gefordert, JüdInnen ins Gas zu schicken. Außerdem gab es Übergriffe auf Einzelpersonen, die Presse und sogar auf Synagogen. Wer hier noch meint, das sei berechtigterweise vorgetragene und legitime Kritik am Staate Israel, und nicht willens ist, die darin enthaltene reaktionäre Tendenz, den Rückgriff auf antisemitische Klischees und den Judenhass zu erkennen, wird nur schwerlich noch mit Vernunft behaftet zu nennen sein.
Ich wende mich hier gegen Judenhass und den positiven Bezug auf den Nationalsozialismus.

5. In manchen Belangen ist Israel ja ein Staat wie jeder andere. Es gibt Ausbeutung, wie in allen modernen Staaten, ein soziales Gefälle und Ausgrenzung innerhalb der Gesellschaft so sehr wie nach außen hin. In all dem unterscheidet sich Israel nicht von anderen existierenden Staaten und man braucht daran nichts zu glorifizieren. Israel ist eine parlamentarische Demokratie mit allen dazugehörigen Errungenschaften, besitzt starke Oppositionsbewegungen, hat ein funktionierendes Gesundheits- und Sozialsystem und anerkennt die Rechte von Frauen so sehr wie die der Homosexuellen. Auch das teilt es mit vielen Staaten; vielen Staaten hat es diese Eigenschaften sogar voraus, das gilt es hervorzuheben – insbesondere im Vergleich zu den anderen Gesellschaften der Region.
In einem aber unterscheidet sich Israel von den anderen Staaten dieser Erde: Es ist der einzige Staat, der zum erklärten Ziel es sich gemacht hat und in der Lage ist, seine jüdische Bevölkerung vor Antisemitismus zu schützen.
Ich stehe hier also für ein demokratisches Israel, das den JüdInnen dieser Welt Zuflucht gebietet.

Fünf Punkte also, deretwegen ich hier stehe:
Ich wende mich gegen eine einseitige Bezugnahme auf den Konflikt, die Israel als Aggressor darstellt; ich wende mich gegen die antisemitische Querfront reaktionärer Kapitalismuskritik; ich wende mich gegen den Terror der Hamas; ich wende mich gegen den Judenhass und den positiven Bezug auf den Nationalsozialismus und ich stehe für ein demokratisches Israel, das den JüdInnen Zuflucht bietet.
Man kann das einseitig finden, wen man möchte. Aber man muss sich dann schon die Frage gefallen lassen, ob man, will man all diese Schritte nicht mitgehen, zum aufgeklärten Teil der Menschheit noch sich wird zählen können.

Uns geht es um ein Aufheben des Kapitalismus und den Übergang in eine bessere Gesellschaft. Dieser Kampf ist noch lange nicht gewonnen; und solange er nicht gewonnen, gilt es, sich allen reaktionären Tendenzen entgegen zu stellen. Wir wissen dabei, auf welcher Seite wir stehen.